norwegische Kunst.

norwegische Kunst.
nọrwegische Kunst.
 
Der Raum des heutigen Norwegen gehörte in der Frühzeit künstlerisch zum Bereich der skandinavischen Tierstile (germanische Kunst). Im engeren Sinn spricht man von norwegischer Kunst seit der Gründung des Reiches durch Harald I. Schönhaar. Die auf hohem Niveau stehende Zimmermannstechnik der Wikinger (Tempel, Königshallen, Schiffe, z. B. Osebergfund) befruchtete die christliche sakrale Kunst und wurde für den Stabkirchenbau übernommen. Es haben sich etwa 25 Stabkirchen erhalten, u. a. Urnes am Lustrafjord, Borgund und Heddal. Fast alle Kirchen hatten ursprünglich eine bemalte Decke wie in Torpo im Hallingdal (um 1280). Daneben entstanden bald nach 1100 zahlreiche romanische Steinkirchen, meist schlichte Landkirchen. Von den geräumigeren Stadtkirchen ist als die früheste die Domkirche in Hamar nur als Ruine erhalten. Die beiden größten Bauten, die Domkirche in Stavanger (letzte Ausgestaltung 1272 ff.) und die nach 1248 erweiterte Domkirche von Trondheim, beide mit reichem Figurenschmuck, zeigen den Einfluss der englischen Hochgotik. Von den profanen Bauten des Mittelalters sind v. a. die Håkonshalle (1247-61) und der Rosenkrantzturm (1562-68, Kern aus dem 13. Jahrhundert) in Bergen sowie die Festung Akershus in Oslo (um 1300), deren Inneres im 17. Jahrhundert in ein Renaissanceschloss umgewandelt wurde, zu nennen. Während der Gotik erlebte die Tafelmalerei eine Blütezeit. Es entstanden zahlreiche bemalte Antependien, deren Thematik häufig byzantinisch beeinflusst ist (Antependien aus Nes, Årdal und Nedstryn, um 1280-90; Bergen, Historisk Museum). Zu den bedeutenden Zeugnissen der romanischen Plastik gehören die Statue des heiligen Olaf aus Værnes (um 1150; Trondheim, Dommuseum), ein Mönchshaupt und eine Muttergottes aus Urnes (Ende des 12. Jahrhunderts; Bergen, Historisk Museum) sowie die Fragmente einer Kreuzigung aus Giske (um 1200; ebenda). Im ausgehenden Mittelalter kamen durch den Handel auch viele Schnitzaltäre aus Lübeck und den Niederlanden sowie englische Alabasterreliefs nach Norwegen. Die ungünstige politische Situation beeinträchtigte das Kunstgeschehen in Norwegen von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich jedoch eine reiche Volkskunst: Schnitzereien an Bauernhäusern, Speichern (Stabburs) und Kirchen (z. B. von J. B. Klugstad, * um 1715, ✝ um 1773) und Malerei, deren »Rosendekor« Wände, Decken, Möbel und Geschirr überzog. In der Malerei dominierten ausländische Künstler. Der Elfenbeinschnitzer Magnus Berg (* 1666, ✝ 1739) war v. a. im Ausland tätig. Auch im 18. Jahrhundert wurden noch Profanbauten aus Holz errichtet, nun auch im Stil des Rokoko (Damsgård in Bergen, um 1770). Den Klassizismus vertraten die dänischen Architekten Christian Henrik Grosch (* 1801, ✝ 1865), der die Universität in Oslo entwarf, und Hans Ditlev Frantz Linstow (* 1787, ✝ 1851), nach dessen Plänen das dortige Schloss (1825-48) entstand. Der Historismus der Folgezeit gipfelte in einer Phase der »Nationalromantik« (Henrik Bull, * 1864, ✝ 1953; Johan Olaf Nordhagen, * 1883, ✝ 1925; Arnstein Rynning Arneberg, * 1882, ✝ 1961; M. Poulsson), die verschiedenste Einflüsse vereinigte (u. a. Arts and Crafts Movement, Neugotik, Jugendstil) und bis in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts andauerte. Sie wurde von einer sehr kurzlebigen neoklassizistischen Strömung abgelöst (Herman Munthe-Kaas, * 1890, ✝ 1977). Den Funktionalismus vertraten Nicolai Sivert Beer (* 1885, ✝ 1950), Lars Thalian Backer (* 1892, ✝ 1930), Ove Bang (* 1895, ✝ 1942), Arne Korsmo (* 1900, ✝ 1968) u. a. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten Knut Knutsen (* 1903, ✝ 1969), Erling Viksjø (* 1910, ✝ 1971), Nils Holter (* 1899), Sverre Fehn (* 1924), Johan Andreas Engh (* 1915), Kjell Lund (* 1927) und Nils Slaatto (* 1923) Bedeutung. Seit den 1970er-Jahren profiliert sich mit einer urbanen Architektur das Büro von Are Telje (* 1936), Frederic A. S. Torp (* 1937) und Knut Aasen (* 1936); im Wohnungsbau ist z. B. auch Niels Torp (* 1940) mit Holzbauten zu nennen. Die Postmoderne vertreten Jan & Jon (Jan G. Digerud, * 1938, und Jon Lundberg, * 1933), die rationale Architektur Arne Henriksen (* 1944), Thomas Thiis-Evensen (* 1946), im Spätwerk Harald Hille (* 1921) und Partner oder das Arkitektkontoret 4 B (Theater in Oslo, 1985). Konstruktive Logik ist das Ziel von Jan Olav Jensen (Bahngarage von Rølvsøy, 1990); sie zeichnet auch das Gletschermuseum von Fehn am Jostedalsbre (1991) und die olympische Skisprunganlage des Büros ØKAW (Lillehammer, 1994) aus. Dekonstruktivistische Elemente zeigen die expressive Kunstgalerie des Büros Snøhetta (Lillehammer, 1994) und die Neubauten der Universität von Tromsø (Büro Blå Strek, 1994 ff.).
 
Die größten Leistungen auf dem Gebiet der Malerei stammen im 19. Jahrhundert von Künstlern, die sich zum Teil lange außer Landes aufhielten, wie der von C. D. Friedrich beeinflusste J. C. C. Dahl und seine Schüler T. Fearnley und P. A. Balke, Adolph Tidemand (* 1814, ✝ 1876), J. F. Eckersberg, H. F. Gude, Hermann August Cappelen (* 1827, ✝ 1852) und L. Hertervig sowie Harriet Backer, F. Thaulow, E. Peterssen und E. T. Werenskiold, die sich unter dem Einfluss der französischen Impressionisten der Freilichtmalerei zuwandten. Sozialkritische Züge prägten das Werk von C. Krohg, der den Naturalismus in Norwegen einführte. G. Munthe lieferte mit seinen Entwürfen für Bildteppiche einen bedeutenden Beitrag zum Jugendstil. Auf dem Gebiet der Grafik traten v. a. T. Kittelsen und O. Gulbransson hervor, der in München einer der wichtigsten Mitarbeiter des »Simplicissimus« war. Henrik Louis Lund (* 1879, ✝ 1935) wurde besonders als Porträtist geschätzt. Europäische Bedeutung erlangte die norwegische Malerei mit E. Munch. Er gehörte nicht nur zu den Wegbereitern des Expressionismus, sondern auch zu den Erneuerern der Wandmalerei (Aula der Universität Oslo, 1910-16). Zu den »Romantikern« der Jahre nach 1890 zählten N. Astrup, zu den neueren Koloristen nach der Jahrhundertwende T. Erichsen und L. P. Karsten. J. H. Heiberg, H. Sørensen, Axel Revold (* 1887, ✝ 1962), P. L. Krohg u. a. studierten bei H. Matisse in Paris. Revold, Krohg und A. Rolfsen, Mitglied der um 1920 gebildeten »Freskogruppe«, schufen monumentale Wandbilder. Bedeutenden Einfluss übte der seit 1933 in Norwegen tätige R. Nesch aus. Modernen Strömungen folgten nach dem Zweiten Weltkrieg u. a. Johannes Rian (* 1891, ✝ 1981), Thore Heramb (* 1916), Knut Rumohr (* 1916), Ludvig O. Eikaas (* 1920), Gunnar Gundersen (* 1921) und Jakob Weidemann (* 1923). Die Textilkunst erhielt neue Impulse durch Frederikke Hansen (* 1855, ✝ 1931), S. Aurdal und Jan Groth (* 1938).
 
Überragende Gestalt der Bildhauerkunst nach S. Sinding war G. Vigeland, mit dem sich Vertreter der jüngeren Generation um 1920 wie Emil Carl Jonas Lie (* 1897, ✝ 1976), Gunnar Tideman Janson (* 1901, ✝ 1983) und Stinius Fredriksen (* 1902, ✝ 1977) auseinander setzten. Später traten v. a. Ornulf Bast (* 1907, ✝ 1974), Per Hurum (* 1910), Per Palle Storm (* 1910) und Kåre William Orud (* 1914), nach 1945 besonders Hans Jacob Meyer (* 1907), Arne Johan Vinje Gunnerud (* 1930) und Arnold Haukeland (* 1920, ✝ 1983) als Hauptvertreter nonfigurativer Plastik hervor.
 
Seit Mitte der 1970er-Jahre hat die norwegische Kunstszene das Image einer melancholischen, von der nordischen Landschaft bestimmten Stimmungsmalerei zugunsten einer den allgemeinen künstlerischen Tendenzen folgenden Vielfalt in Form und Inhalt abgebaut. Dennoch ist bis heute eine malerische und bildhauerische Tradition lebendig, die man als Fortsetzung der existenziellen Analysen eines Munch bezeichnen kann. Stellvertretend seien die Künstler Per Ung (* 1933), Arvid Pettersen (* 1943), Kjell Torriset (* 1950), Leonard Rickhard (* 1945), Gabrielle Kielland (* 1945) und Johanne Marie Hansen-Krone (* 1952) genannt. Künstler wie Bjørn Sigurd Tufta (* 1956), Kristian Blystad (* 1946), Bente Stokke (* 1952), John Audun Hauge (* 1955), Ola Enstad (* 1942) und Steinar Christensen (* 1946) leisten in Skulpturen, Gemälden und Objektinstallationen Beiträge zur Entfaltung des Kanons der modernen Ästhetik. Die jüngste Generation norwegischer Künstler ironisiert sowohl die nordische Tradition als auch das Regelwerk der klassischen Avantgarde. Marit Benthe Norheim (* 1960), Kristin Aarnes (* 1955), Anders Tornren (* 1965), Per Formo (* 1952) und Lars Paalgard (* 1955) verweisen in und mit ihren Werken auf die Notwendigkeit, sowohl banale als auch ästhetische Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Im Bereich einer multimedial orientierten Kunst sind v. a. die Videokünstler Sven Påhlson (* 1965), Nils Olav Bøe (* 1958), Kjell Bjørgeengen (* 1951) und die konzeptuellen Fotografen Ingrid Book (* 1951) und Kåre Kiviljärvi (* 1938) zu nennen.
 
 
A. Tuulse: Scandinavia Romanica. Die hohe Kunst der roman. Epoche in Dänemark, Norwegen u. Schweden (a. d. Norweg., Wien 1968);
 P. Anker u. A. Anderson: L'art scandinave, 2 Bde. (La Pierre-qui-Vire 1968-69);
 I. Rácz: Norsk middelalderkunst (Oslo 1970);
 J. Askelund: Norwegian painting (ebd. 1971);
 
Norweg. Malerei der Gegenwart, hg. v. der Dt.-Norweg. Gesellschaft, Ausst.-Kat. (1974);
 
Im Lichte des Nordens. Skandinav. Malerei um die Jahrhundertwende, bearb. v. R. Andree u. a., Ausst.-Kat. (1986);
 
Norsk kunst, hg. v. H. Koefoed u. H. Holm-Johnsen, Ausst.-Kat. Göteborgs konstmuseum (Oslo 1987);
 
Norweg. Künstler. Malereien, Skulpturen, Grafiken, Ausst.-Kat. Kunstsalon Wolfsberg (Zürich 1987);
 
Meer offen. Meer u. Wasser, Schiff u. Boot in der bildenden Kunst der 80er Jahre in Dtl. u. Norwegen, hg. v. W. Brost u. a., Ausst.-Kat. Museet for Samtidskunst, Oslo (1991);
 
Das steinerne Licht. Ostsee-Biennale 1992, hg. v. A. Etz, Ausst.-Kat. Kunsthalle Rostock (1992);
 
Die Stabkirchen Norwegens, bearb. v. Y. Sakuma u. O. Storsletten (1993);
 C. Norberg-Schulz: Skandinav. Architektur. Neue Tendenzen im Bauen der Gegenwart (a. d. Ital., 1993);
 
Norweg. Stabkirchen, bearb. v. E. Valebrokk u. T. Thiis-Evensen (a. d. Norweg., 1993).

Universal-Lexikon. 2012.

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